Gestern im Kino, es war wie ein Heimkommen! Eine Frau im „Lopapeysa“, einem isländischen Wollpullover macht sich mit Pfeil und Bogen in einem weiten, moosbedeckten Lavafeld bereit die Stromleitung zu sabotieren. Im Hintergrund spielt eine vierköpfige Band, welche die Filmmusik verkörpert und durch den Film begleitet. Man fühlt sich weitab der Zivilisation, aber eigentlich spielt der Film in der Umgebung von Reykjavik. Halla, die grandios spielende Halldora Geirhardsdottir ist die Hauptdarstellerin im 2018 in Cannes preisgekrönten Film „Woman at War“ des Regisseurs Benedikt Erlingsson. Halla wird wegen ihrer Aktionen als Umweltaktivistin in den Medien als Terroristen bezeichnet, ist in aller Leute Mund und hält die Regierung auf Trab.Man fürchet gar um Stromlieferverträge imit Europa. Auf einem, vom Dach von Hotel Borg in Reykjavik durch den Wind verstreuten Flugblatt, erklärt sie den Grund für ihre Taten und unterzeichnet dieses als „Fjallkonan“, übersetzt Bergfrau (diese wird jedes Jahr neu gewählt und trägt am Nationalfeiertag ein Gedicht vor, sie ist die weibliche nationale Personifikation Islands). Sie lehnt sich mit ihrer Industriesabotage gegen die lokale Aluminiumindustrie auf. Neben dieser Botschaft ist der Film wie viele isländische Werke eher skurril, aber gleichzeitig sehr amüsant und mit den starken Bildern absolut sehenswert. Gegensätze werden wunderbar aufgezeigt, beginnend mit der Hauptdarstellerin, welche zuerst die Stromleitung kappt um gleich danach ihren Chor zu leiten und ein Frühlingslied zu dirigieren. Sie plant weitere Taten, während sie gleichzeitig Bericht erhält, dass ihrem, viel früher gestellten Gesuch zur Adoption eines Kindes stattgegeben wurde und sie dieses in der Ukraine abholen kann. Muttergefühle und Kampfansagen beherrschen Halla. Gegensätzlich sind auch das einfache Leben eines Schafbauern und die moderne Technik, welche in Island absolut nicht fehlt. Weder an Helikoptern, Drohnen, gut bewaffneter Polizeieinheit und DNA-Analyse wird gespart. Letztere verspricht in Island mit der geringen Bevölkerungszahl schnellen Erfolg. Die Hauptdarstellerin Halldora spielt aber nicht nur Halla, sondern auch ihre esoterisch angehauchte Schwester, die schlussendlich dem Film eine unerwartete Wende gibt. Auch typisch Isländisches wurde toll in den Film eingeflochten. So braucht es ganz wenige Sätze um herauszufinden, dass man sich um einige Ecken herum kennt oder sogar verwandt ist. Aber wie so oft ist die genaue Vaterschaft nicht genau geklärt. Immer wieder taucht der spanische (?) Tourist mit dem Fahrrad im Film auf und gerät tragischerweise von einer Misere in die nächste. Ist es etwa der gleiche Tourist, welcher auf elende Art und Weise im Film „Of Horses and Men“ (Wikipedia) vom gleichen Regisseur jämmerlich erfroren ist? Wenn ja, darf man sich bereits auf den nächsten Film von Benedikt Erlingsson freuen.
Für mich als Island-Vielbesucherin und -kennerin war der Film ein „velkomin heim“, übersetzt willkommen zu Hause, zum einen weil er in Originalsprache mit deutschen Untertiteln läuft. Man taucht sowohl in die Natur, die Hauptstadt und isländische Gepflogenheiten ein. Dank des Films erhielt ich einen mir bis jetzt unbekannten Blick in die Aluschmelze Rio Tinto von Straumsvik in Hafnarfjördur. Ich kann nicht gut abschätzen, wie der Film auf Leute wirkt, welche Island überhaupt nicht kennen. Es wäre spannend zu wissen und für einen Kommentar zu diesem Bericht bin ich dankbar. Der Film im Kino Movie in Bern war gestern sehr schlecht besetzt und wer ihn noch sehen möchte, sollte nicht lange zuwarten. Ich kann mir vorstellen, dass er unverdienterweise in Kürze wieder abgesetzt wird. Das Thema der Stromproduktion ist in Island aktuell, wie ein kürzlich veröffentlichter Beitrag von Iceland Review zeigt.
Filmtrailer