Unterwegs mit blinden und sehbehinderten Menschen – ein besonderer Reisebericht

Blinde und sehbehinderte Reisegäste mit den Begleiterinnen am Djupalonsandur. 04.07.2021

Die Spannung war schon gross im Vorfeld der Reise, würde diese stattfinden können oder nicht? Gebucht wurde alles schon 2019, als Corona noch überhaupt kein Thema war. Ja, wir durften die Tour mit dieser speziellen Reisegruppe anfangs Juli durchführen, vor Ankunft des Flugzeugs stieg die Spannung fast ins unermessliche. Wie würde es sein, Menschen Island näher zu bringen? Bereits bei der Reiseausschreibung versuchte ich den Fokus auf andere Sinne als das Sehen zu legen und entschied mich mit Gruppenleiterin Silvia für eine Reise durch den Westen in den Norden und durchs Hochland nach Süden. Endlich ging am 2. Juli los! Bereits die Anreise klappte problemlos, was zur Zeit absolut nicht so sicher ist und ich durfte in Keflavik alle zwölf Reisegäste, bestehend aus sehbehinderten Personen mit einigen Begleiterinnen am Flughafen in Empfang nehmen und persönlich begrüssen. Nun würden wir also losfahren zum Abenteuer und uns aufs Beschreiben, Tasten, Fühlen, Spüren, Riechen, Hören und Kosten konzentrieren. Ganz schnell wird mir klar, diese Reisegäste sind da, um möglichst viel zu entdecken, auf ihre Art und Weise. Gemäss ihren Erzählungen sind sie es gewöhnt zu reisen und waren schon in verschiedenen Ländern unterwegs. Es ist nun mein Ziel, ihnen möglichst viel „Island“ zu bieten. Ich staune hier und dort, wie gut sie sich auch dank kompetenter Begleitung im schwierigeren Gelände bewegen und keine Mühen scheuen, ein Ziel zu erreichen. Beispielsweise erklommen alle die steilen Treppen des Leuchtturms Akranesviti sowie den Grabrok-Krater bei Bifröst.

Wir ertasten die Blüten der Lupinen, welche den sehenden Begleiterinnen sofort auffallen, das unterschiedliche Lavagestein entlang der Route, klettern hoch zu den riesigen Basaltsäulen von Gerduberg, spüren das Gras, das Moos und die Polsterpflänzchen, sie zur Zeit überall blühen. Selbst das Pferd dürfen wir berühren, welches uns Tochter Birna in Stadarholl vorführt. Und natürlich tasten sich alle durch den Bus und finden sich genauso schnell zurecht wie in den Hotelzimmern, welche die Begleitung bei Ankunft jeweils vorstellt, zeigt wo was zu finden ist, die Armaturen im Badezimmer, aber auch Steckdosen und Lichtschalter.

Fühlen und spüren kann man das isländische Wetter, welches sich während der Reise eher untypisch zeigt, was für tolle, oft sonnige zehn Tage durften wir geniessen! Aber man spürt hier und da den Wind, die Meeresluft, die Gischt von Wasserfällen, heisses, warmes und eiskaltes Wasser, beim Baden im Myvatn Naturbad und in Hveravellir die Weichheit des Wassers. Einige nutzen jede Gelegenheit für ein Bad, auch in den Hot Pots der Hotels, wo es welche hat. Manchmal bietet sich ein weiches Moospolster an, unterschiedlich sind Sand und Steine an den Stränden. Wie angenehm liegen die Steine bei Djupalonsandur in der Hand. Zwischendurch belästigen uns aber auch die kleinen Mücken belästigt, welche so gerne in Mund, Nase und Ohren fliegen.

Welcher Islandregereiste kennt nicht den typischen Schwefelgeruch, sei es bei den heissen Quellen, aber teilweise auch schon unter der Dusche in den Hotels. Namaskard war das Paradebeispiel und die ersten Bemerkungen kamen schon bevor wir die Bustüren öffneten. Aber in der Landschaft sind so viele Pflanzen und Kräuter, die riechen, viele blühen zu dieser Jahreszeit. In Hafenorten wie Akranes und Husavik fällt der Geruch der Fischfabriken auf.  Zum Glück riecht der Fisch auf dem Teller viel besser, besonders lecker ist der geräucherte Lachs. Nicht zu vergessen ist auch der Geruch der Pferde.

Ganz unterschiedlich rauschen in Island die Wasserfälle! Mit dem Geräusch und der Beschreibung durch die Begleitpersonen, dürften tolle innere Bilder der Lavawasserfälle Hraunfossar, von Kirkjufellsfoss, vom Götterwasserfall Godafoss und vom Goldenen Wasserfall Gullfoss entstanden sein. Dettifoss, der mächtigste liess sich wegen Strassenreparaturen nur von der Westseite besuchen, aber fast alle stiegen die Treppen runter, um möglichst nahe an der Kante sein, wo sich das Wasser von Jökulsa a Fjöllum in die Jökulsagljufur-Schlucht stürzt. Den begleitenden Regenbogen beschrieben die Sehenden und viele liessen sich damit fotografieren. Andernorts hörte man die Meeresbrandung oder blubbernde, köchelnde oder zischende heisse Quellen. Bei Geysir waren wir am Morgen früh fast alleine und eine Stunde lang hörten sich die meisten alle paar Minuten das Hochschiessen des Wasserdampfs an und begannen zu schätzen, wie hoch der Ausbruch wohl war. Die Pferde wiehern und schnaufen, völlig unterschiedlich tönen die verschiedenen Gangarten, als Birna den Weg vor unserer Unterkunft hin und her reitet. Man hört die Schafe blöken, die Kühe muhen und natürlich die vielen Vögel pfeifen, die alle nun auch in Island sind und brüten. Vorsicht vor dem Geschrei der Küstenseeschwalben! Eindrücklich tönen die Dreizehenmöwen an den Felsküsten bei Arnarstapi, denen wir aus sicherem Abstand zuhören. Ein einzigartiger Höhepunkt liess lange auf sich Warten. Bereits versuchten wir uns auf der Walbeobachtungstour mit dem Gedanken anfreunden, dass wir keine Wale sehen oder hören würden. Erst auf der Rückfahrt nach zwei Stunden, kamen die grossen Momente und gleich mehrere Buckelwale tauchten in Bootsnähe auf und man hörte das Ausatmen mehr als deutlich. Zum Glück verlängerten Kapitän und Guide von Gentle Giants die Tour, die garantiert unvergessen bleiben wird. Wie war ich als Reiseleiterin und Organisatorin froh, dass dieser grosse Wunsch schlussendlich kurz vor Mitternacht in Erfüllung ging! Aber nicht nur die Natur ist hörbar, Landschaftsbeschreibungen durch die Begleiterinnen oder durch mich gehörten zum Tag, das Klavierspiel von Daniel in Hotel Vogar und der Gesang des Trios aus unseren Reihen im Leuchtturm bleiben unvergesslich (Video am Schluss des Berichts). Und zum Reiseabschluss lauschten alle gespannt der Geschichte von Flumbra, des Trollweibs mit ihren acht Söhnen.

Täglich gab es feines Essen zu kosten und alle schätzten es. Am Morgen starteten wir mit einem üppigen Frühstücksbuffet, am Mittag genossen wir eine Suppe oder organisierten ein Picknick, Pylsur (isländische Wienerwürste) vom Grill durften auch nicht fehlen und abends wartete überall ein feines Dreigangmenu. Zum Glück bewegten wir uns entsprechend viel draussen!

Picknick in Hellisandur. 04.07.2021

Dieser Bericht könnte unendlich erweitert werden. Die Erfahrung mit blinden und sehbehinderten Reisegästen unterwegs gewesen zu sein, möchte ich niemals missen. Es war absolut bereichernd für mich, Island aus einer anderen Perspektive kennenzulernen. Ich danke von Herzen allen, welche mir das Vertrauen schenkten und es ist wunderbar zu wissen, dass es auch 2022 wieder eine solche Reise geben wird. Herzlichen Dank auch für die Erlaubnis, Bilder mit erkennbaren Personen während und nun nach der Reise veröffentlichen zu dürfen.

2 Kommentare

  1. Mit dem wunderbaren Bericht und den Fotos kann ich als Begleiterin die Reise nochmals voll erleben und geniessen.

    • Danke Silvia, es war wirklich grossartig so unterwegs zu sein. Ich freue mich schon auf die nächste Reise dieser Art!

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.